Halt mich nicht fest!  –  ein Gedanke zum Osterfest in ungewöhnlicher Zeit

                  Wir gehen auf die Ostertage zu. In diesem Jahr ist alles anders. Ein Fest mit social distancing. Feiertage ohne Gottesdienste. Ohne Eiersuchen, Kaffeeklatsch und Familienbesuche. Das ist ungewohnt, für manche schmerzlich, für andere mit viel Arbeit und Ängsten verbunden. Ausnahmezustand. Noch offen, wie es danach weitergeht.

                  Wir gehen auf die Ostertage zu – auch in diesem Jahr die Tage, die von Tod und Leben reden. Von Verlust und Angst. Aber auch von Wiederfinden und Freude. Von Altem und Neuem. Von Abbruch und Neubeginn.

Dazu ein Bild und ein Satz:

 

Fra Angelico: Noli me tangere, ca. 1450                

 

Mitten in einer der Ostergeschichten steht dieser Satz: Halt mich nicht fest!

Er fällt, als eine – vielleicht noch junge – Frau plötzlich dem wiederbegegnet, den sie doch vor drei Tagen mit eigenen Augen hat sterben sehen. Dessen Grablegung sie beobachtet hat. Aber als sie jetzt zu seinem Grab kommt, findet sie ihn nicht, die Grabkammer steht offen, der Leichnam ist verschwunden. Plötzlich hört sie, wie er mitten hinein in ihre Verwirrung und Trauer ihren Namen sagt: „Maria“. Ich stelle mir vor, wie in endlosen Sekunden Schicht um Schicht ihrer Trauer, ihrer Hoffnungslosigkeit, ihres Zweifels von ihr abfällt. Wie ihre Augen, verweint erst, dann zweifelnd blinzelnd, dann staunend aufgerissen, schließlich strahlen: da ist er!!

                  Und sie will gerade auf ihn zustürzen, ihn umarmen, als wollte sie ihn nie wieder loslassen… als Jesus diesen Satz sagt: Halt mich nicht fest! Und wieder stelle ich mir ihr Gesicht vor: wie die Freude für einen Moment gefriert, wie sich Unverständnis breitmacht.

                  Wenn es so etwas gibt wie die Top 10 der meistgemalten Sätze, dann gehört der hier bestimmt dazu. Noli me tangere – rühr mich nicht an, fass mich nicht an, halt mich nicht fest.

Gemalt ist Jesus, wie er sich mit einer leichten Körperdrehung entzieht, wie er dem Greifen der Maria Magdalena eine kleine, abwehrende Geste entgegensetzt. Aber: sein Blick ist auf sie gerichtet: er weist nicht sie zurück, sondern ihr Greifen.

                  Aus dem, was er zu ihr sagt, wird deutlich: Hier beginnt etwas Neues. So verständlich ihr Glück und ihr Wunsch nach Festhalten des gerade erst Wiedergefundenen ist: dieses hier ist keine Fortsetzung des alten, sondern ein Neu-Beginn. Zwischen Jesus und dieser Frau geht es nicht so weiter wie bisher. Als Mensch war er ihr Lehrer, ihr Retter, ihr Idol und ihre Verbindung zu Gott. Jetzt wird es anders: er wird wieder gehen und was von der Kraft Gottes in ihrem Leben bleibt, wird sie selbst entfalten. „Geh“, sagt Jesus zu ihr. Und „sag ihnen…“. Du hast es in dir, trag es weiter.

                  Diese Begegnung war nachweislich nicht das Ende. Maria Magdalena muss ihn verstanden haben; sie, eine Frau!, bringt den Jüngern die unglaubliche Nachricht. Sie breitet das Leben Gottes aus – sonst hätte es das Christentum nie gegeben…

Halt mich nicht fest! – Berühren, fassen und halten; begreifen, erfassen und erkennen. Das alles hat etwas mit an-eignen zu tun. Ich eigne mir etwas an, ich verstehe, ich kenne, ich kann es handhaben.

                  Wir merken gerade, dass wir so manches gar nicht kennen, nicht können, nicht wissen. Das fühlt sich nicht angenehm an, es verunsichert. Wir würden gerne mit unserem Können, unseren Erfahrungen und Gewohnheiten zupacken. Aber das wird so nicht gehen.

                  Und auch „nach Corona“ wird es nicht einfach sein wie vorher. Es wird uns in manchem einen Neu-Beginn abverlangen. Nach den alten Gegebenheiten zu greifen wird manches Mal nicht möglich sein. Wir werden etwas loslassen müssen.

                  Erinnern wir uns dann daran, dass es die Kraft Gottes in uns ist, die uns ins Neue begleitet – vielleicht sogar schickt. Tragen wir es weiter: sein Leben ist in uns für die immer neue Gegenwart.