EINE BERUFUNG SCHÜTZEN –
Josef, (k)eine Randfigur der Weihnachtsgeschichte
Es geht hier weder um Heiligenlegenden, noch um eine Erbauungsgeschichte – aber ich bin überzeugt, dass wir in diesem Josef, dem Mann der Maria, einer Haltung begegnen, die unter uns kostbar ist.
Vor Jahren saß ich in der Adventszeit in einem Exerzitienhaus in einer halbdunklen Ecke und konnte auf ein Fenster schauen, in dem ein Schwibbogen aus dem Erzgebirge stand und leuchtete. Ich habe dort eine ganze Weile gesessen und ganz langsam ging mir auf, dass da etwas in mir passierte.
Ich habe in diesem Lichterbogen die Krippenszene angeschaut – lange vertraut und doch war etwas neu und berührte mich. Ich sah plötzlich den Josef. Sah einen Mann, der halb gebeugt und fürsorglich über der knienden Maria stand. Und ich konnte meine Augen gar nicht mehr von diesem Bild abwenden. Bis ich dann die Worte finden konnte für das, was ich da sah: einen Mann, der die Berufung seiner Frau schützt.
Josef ist eher eine Randfigur in der Weihnachtsgeschichte und taucht, anders als Maria, in der Zeit des Wirkens des erwachsenen Jesus nicht mehr auf.
Das meiste von dem wenigen, das wir über Josef wissen, finden wir im Matthäusevangelium. Dort wird Josef mit einem Satz vorgestellt, der absolut ungewöhnlich ist. Josef ist die vorletzte Person im Stammbaum Jesu (Mt. 1:16). Dort heißt es „Jakob zeugte Josef, den Mann der Maria, von welcher Jesus geboren wurde…“ Dass ein Mann anhand seiner Frau vorgestellt wird, ist ein absolut undenkbarer Tatbestand für die Zeit Jesu. In den Stammbäumen der Bibel tauchen normalerweise überhaupt keine Frauen auf, es sei denn Tamar, Ruth, Maria. Alle paar Jahrhunderte mal eine. Und das auch nur, weil Gottes Heilsgeschichte einen unvorstellbaren Haken geschlagen hat.
So einen Haken haben wir hier. Mit diesem Satz stellt Matthäus auch klar, dass Josef nicht der Vater Jesu ist, das ist unbestreitbar.
Wo Lukas die Geschichte von der Begegnung Marias mit dem Engel und dann mit Elisabeth berichtet, lässt uns Matthäus hineinschauen in dieselbe Situation aus der Sicht Josefs.
Es gibt unendlich viele Darstellungen von Maria und dem Engel – aber auch mit Josef redet ein Engel, im Traum, mindestens drei Mal. Und jedes Mal geht es um Leben und Tod: er soll Maria zu sich nehmen, er soll später mit Mutter und Kind nach Ägypten fliehen, er soll wiederum später mit seiner Familie zurückkehren nach Nazareth.
Auf der Weltbühne der Heilsgeschichte steht Maria im Rampenlicht – und es ist die Gestalt des Josef im Hintergrund, die diesen besonderen Weg der Maria begleitet, trägt, sichert, überhaupt erst möglich macht. Ein Rollentausch um die Zeitenwende.
Josef ist wohl ein ganz normaler Mann gewesen – aber mit einer besonderen Charakterstärke. Er war Bauhandwerker, kein Gelehrter, kein Theologe. Er war damals vielleicht noch ein junger Mann, vielleicht gerade erst verliebt, jedenfalls verlobt. Ich stelle ihn mir vor als einen eher ruhigen Mann, sparsam mit Worten, vielleicht auch sparsam mit Gesten. Aber ehrlich und – nachdenklich.
Zu denken hat er viel: er sieht sich vor eine unmögliche Situation gestellt. Seine Verlobte ist schwanger und das nicht von ihm, soviel ist sicher. Er könnte jetzt eine öffentliche Szene machen, damit wäre Maria bloßgestellt und er hätte eine reine Weste. Es wäre völlig legitim so zu handeln, es wäre das Normale gewesen – aber Josef will das nicht. Er könnte Maria mit Schimpf und Schande davon jagen, aber das will er ihr ersparen. Das ehrt ihn!
Stattdessen entscheidet er sich dafür, selbst zu gehen: dann sieht es so aus, als wäre er der Vater des Kindes, hätte Maria dann aber sitzengelassen. Die Schande der unehelichen Mutter kann er Maria nicht ersparen, aber es fiele auch ein deutlichen Schatten auf ihn selbst. Das wäre er bereit in Kauf zu nehmen. Wenn er sie heimlich verlässt, könnte sie bei ihrer Familie bleiben, wenn das Kind kommt; er selbst will irgendwo anders neu anfangen.
Damit beweist Josef wirkliche innere Größe! Er ist bereit etwas zu opfern, um die Verlobte, die ihn vielleicht betrogen hat, zu schützen. Maria ist das Mädchen, das er heiraten wollte – dass sie nun schwanger ist, muss ihn verletzen, verwirren, enttäuschen. Für ihn bricht hier ein Traum zusammen. Dennoch ist es nicht Vergeltung, die er sucht. Er denkt solange hin und her, bis er einen Weg gefunden hat, der Maria möglichst wenig schadet.
Aber eines geht für ihn nicht: so zu tun als ob nichts wäre und Maria trotzdem zu heiraten. Das kann Josef nicht, das hält er für unmöglich. Da steht etwas zwischen ihm und Maria. Verständlich.
Dann aber kommt der Engel im Traum und mutet ihm zu, sich vorzustellen, dass dieses Kind nicht etwa die Frucht eines Vor-Ehe-Bruchs ist, sondern Gottes Sohn, gezeugt vom heiligen Geist. Wir kennen diese Geschichte seit 2000 Jahren – Josef kannte sie nicht!
Maria kann spüren, was passiert, weiß, was passiert ist – Josef kann es nur glauben, Maria glauben und dem Engel. Wer hat es hier schwerer?
Josef wird hier zugemutet, etwas in sein Leben hineinzunehmen und zu beschützen, das eigentlich nicht Seines ist: er soll Maria heiraten und dieses Kind aufziehen. Dass der Engel auch ihm den Namen des werdenden Kindes nennt, bedeutet, dass Josef hier die Vaterrolle übernehmen soll. Es ist Aufgabe und Recht des Vaters, seinem Kind einen Namen zu geben.
Und Josef tut es – er wird zum zuverlässigen Beschützer Jesu und seiner Mutter. Er begleitet einen Lebensweg, auf dem er selbst eine Randfigur bleibt. Es ist seine Frau, die die Gottesmutter wird, dieses Kind, das der Sohn Gottes ist.
Josef steht hier vor einem Geheimnis, das ihn übersteigt – und er bleibt. Er achtet dieses Geheimnis im Leben seiner Frau. Er achtet ihre – ich nenne es mal Berufung. Josef achtet das Besondere im Leben seiner Frau und des ersten Kindes. Ein Besonderes, das er zu keinem Zeitpunkt sehen kann, greifen kann. Er kann es nur glauben, was er von Maria und dem Engel hört. Er schützt beider Leben und lässt das Kind, das nicht seines ist, und das später schwer begreifbare Wege geht, mitten in seinem Leben aufwachsen.
Marias Weg ist geprägt von einer Gottunmittelbarkeit, die es für Josef auszuhalten gilt. Ihr Weg geht nicht über ihren Mann – es ist umgekehrt: sein Weg wird geprägt von ihrer Berufung. Sich dem zu stellen, ist die innere Größe, die den Josef auszeichnet.
Als der Engel Josef im Traum anspricht, sagt er „fürchte dich nicht – Maria als deine Frau zu dir zu nehmen.“ Angst hatte Josef nicht vor dem Engel und nicht vor der Schande – aber vor dem Weg, der vor ihm liegen würde, wenn er sich auf Marias Weg einlassen würde. Diese Furcht wird von Gott gesehen, wahrgenommen; sie ist sehr menschlich. Darum spricht der Engel sie an.
Aber alles, was der Engel dazu sagen kann, ist: das ist von Gott. Dieses Kind ist vom heiligen Geist, aber du sollst es aufziehen und beschützen. Diese Spannung wird nicht aufgelöst.
An Josef leuchtet etwas auf, etwas Kostbares, vielleicht auch Seltenes. Im Letzten ist es immer so – jeder Mensch lebt aus einer Unmittelbarkeit zu Gott – und bleibt darin angewiesen auf das Aushalten und manchmal den Schutz seiner Umwelt. Jeder Mensch lebt aus einer Beziehung, die tiefer geht, als alle zwischenmenschlichen Beziehungen. Im Tiefsten bleiben wir einander unverfügbar und unbegreiflich.
Das Leben zu teilen in dem Wissen, dass der andere mir nie gehört und dass sein Lebenszentrum mir unverfügbar bleibt, braucht eine innere Stärke. Zu respektieren, was vielleicht fremd bleibt, braucht eine freigebende Demut.
Was in der Tiefe der Gottunmittelbarkeit in einem Menschen liegt, kann nicht von außen beurteilt werden. Auch das wird an Josef deutlich: er ringt um eine gute Lösung – aber es braucht den Engel, um Gottes Weg zu erkennen. Was Gott in die Tiefe eines menschlichen Lebens gelegt hat, ist oft nicht sicht- und verstehbar.
Und auch dies wird an der Geschichte von Josef und Maria deutlich: wenn Gott eine Berufung in ein Leben hineinlegt, entfaltet sich dies nicht automatisch. Es braucht neben der Einwilligung des berufenen Menschen auch eines Schutzraums: Respekt, Unterstützung, Freigeben, Aushalten, Mittragen, Wertschätzen.
Gott macht uns nicht voneinander unabhängig. Dass Gott einem Menschen einen Weg zumutet, heißt offenbar nicht, dass dieser Mensch nun autark wäre.
Erscheint es mir als Zumutung, etwas in mein Leben hinein zu nehmen, was mich höchstens mittelbar betrifft? Oder anders herum: kann ich einem anderen zumuten, was Gott in mein Leben hineinlegt?
Wie viel Berufung mag schon auf der Strecke geblieben sein, weil das achtende Umfeld fehlte? In unserer Gesellschaft und Kirche ist oft die Frau in der Rolle der Unterstützenden. Aber an der wichtigsten Stelle seiner Heilsgeschichte mutet Gott diese Aufgabe einem Mann zu. Vielleicht kann uns das eine Herausforderung sein, über Rollenzuweisungen offener zu denken?
Diese Achtung vor dem Geheimnis, das im Leben eines mir – in welcher Beziehung auch immer – anvertrauten Menschen liegt, ist es, was mich in dieser Gestalt des Josef berührt. Achtung vor dem So-Sein eines Lebens und Weges. Darin ist mir der sorgende Josef ein Vor-Bild geworden und wenn Gott dafür sorgte, dass seinem Sohn und dessen Mutter solche Achtung und Fürsorge zuteil wurde, dann liegt darin sicher etwas, worüber es sich für uns lohnt, nachzudenken.