Warten – eine Grundhaltung geistlichen Lebens –

Gedanken zu Rembrandts Simeon und das Christuskind (Lukas 2:29-32)

 

Der Zusammenhang ist schnell erzählt: die Geburt Jesu ist einen guten Monat her, es ist Zeit für zwei Dinge: die rituelle Reinigung der Mutter nach der Geburt und die Auslösung des ersten männlichen Kindes. Die Beschneidung war am achten Tag vorgenommen worden und mit ihr auch die Namensgebung „Jesus“. Nach der Geburt eines männlichen Kindes galt die Mutter 33 Tage als unrein, danach sollte ein einjähriges Lamm und eine Taube – wenn man dafür zu arm war, zwei Tauben – geopfert werden. So steht es in 3. Mose 12.

Alle männliche Erstgeburt gehörte nach 2. Mose 13 dem Herrn: das Tier sollte jeweils geopfert, ein Kind natürlich ausgelöst werden, d. h. an seiner Stelle soll ein Tier geopfert werden. Eine Erinnerung daran, dass beim Auszug aus Ägypten die Erstgeburt der Ägypter in der Nacht umkam – Mensch und Tier – die Israeliten aber verschont blieben und aus Ägypten fliehen konnten. Darum gehören alle männlichen Erstgeborenen Gott – und deshalb bringen auch die Eltern Jesu ihr Kind in den Tempel.

Die kleine Familie ist also mit ihrem gut einen Monat alten Baby im Tempel, um dem Gesetz Genüge zu tun und hier begegnet ihnen dieser alte Mann, Simeon.

Während Lukas uns Menschen wie Zacharias, Elisabeth und Hanna gerne mit ihrer Abstammung vorstellt, erfahren wir über die Herkunft Simeons nichts. Aber wir erfahren etwas über seine Vorgeschichte, seine ganz eigene Geschichte mit Gott:

Gerecht ist Simeon und „fromm“, d. h. er lebt in Ehrfurcht vor Gott. Sein Leben ist ausgerichtet auf Gott. Und er ist ein Wartender, wartend auf den Trost Israels, wartend auf das, was das jüdische Volk schon so lange ersehnt. Eine besondere Verheißung hat Gott ihm geschenkt: er wird nicht sterben, ohne vorher den Gesalbten Gottes gesehen zu haben.

 

            Warten – das hat wie eine Ellipse zwei Brennpunkte: Geduld und Spannung.

Zum Warten gehört das Akzeptieren, dass es jetzt so ist. Und gleichzeitig das Festhalten daran, dass etwas Anderes kommt. Ich kann es nicht machen; das muss ich immer wieder loslassen. Aber ich richte mich nicht ein in dem, was ist; bleibe ausgerichtet auf das, was kommen soll.

Das ist in unserer Zeit nicht hoch angesehen. Hier und Jetzt, Sofort und Alles sind die Schlagworte unserer Zeit. Aber ist es das?

Es gibt ein Wort von Henri Nouwen (der ja wie Rembrandt Niederländer war):

„Warten ist eine geistliche Grundhaltung; es ist ein Warten mit einer Verheißung im Herzen“.

Eine geistliche Grundhaltung. Die man wie alle wesentlichen Dinge buchstabieren muss. Viele Dinge lassen sich nicht einfach herbeischaffen, sie haben bei Gott ihre eigene Zeit. Manches braucht Zeit zum Wachsen, für manches bin ich vielleicht noch nicht reif. Rückblickend kann man es manchmal verstehen – aber es will vorwärts gelebt werden. Ist es nicht so: was Gott zusagt, muss nicht gleich morgen sichtbar sein. Festhalten und warten. Nicht resigniert einrichten. Innerlich ausgespannt bleiben.

Dafür ist der alte Simeon bei Lukas das Vorbild. Ein Vers des Hoheliedes beschreibt diese Spannung mit einem Bild: Ich schlief, aber mein Herz war wach (Hl 5:2). So war es bei Simeon: In seinem Herzen war Gottes Zusage wach und darum konnte er es wahrnehmen, als der heilige Geist ihn in Bewegung setzen wollte, jetzt in den Tempel zu kommen.

Denn jetzt geht der Traum seines Lebens in Erfüllung – und diesen Moment der Erfüllung eines langen Wachen und Wartens hat Rembrandt gemalt.

 

Dieses Bild hat eine eigene, berührende Geschichte, die aufleuchtet, wenn man dieses Bild einmal vergleicht mit früheren Darstellungen dieses Motivs bei Rembrandt.

Es ist das wirklich allerletzte Bild, das der alte Rembrandt gemalt hat, und bei seinem Tod 1669 war es nicht ganz fertig.

Anders als bei früheren Darstellungen dieser Szene ist hier nur Simeon zu sehen, mit dem Kind auf den Armen, im Hintergrund vielleicht die alte Prophetin Hanna. Keine Umgebung, keine Szene, keine Handlung, keine Dramatik, selbst das Licht scheint eher aus dem Inneren zu kommen, als von einer Lichtquelle her.

Simeon hält dieses Kind nicht in den Armen, er greift es nicht mit Händen – er hat es auf den ausgestreckten Armen liegen, die Hände sind wie zum Gebet aneinandergelegt. Simeon fasst es nicht – er lässt sich berühren.

Das Kind schaut zu ihm auf mit großen, wachen Augen; seine Augen sind auf Simeon gerichtet, den alten Mann, der es im Tiefsten erkannt hat.

Simeons Augen sind fast geschlossen – wie die Augen des am Schluss fast erblindeten Malers selbst. Aber was Simeon sieht, dafür braucht er auch nicht diese Augen. Was er sieht, ist ihm vom heiligen Geist geoffenbart: hier, mit diesem Kind, hat Gott einen neuen Heilsweg begonnen; er hat „Heil bereitet.“ Im Griechischen ist hier ein Wort gebraucht, das im Deutschen vielleicht am ehesten wiedergegeben werden kann mit „bereitstellen“, „in Bereitschaft versetzen“, „mobilisieren“. Nicht neu geschaffen, sondern immer schon da und jetzt bereit, auf den Plan zu treten.

Das ist dem Kind nicht anzusehen – das ist die Offenbarung, die Simeon geschenkt ist. Hier ist es, worauf er vielleicht Jahre oder Jahrzehnte gewartet hatte: er sieht, dass Gottes Heil jetzt in der Welt ist.

Es ist die lang ersehnte Erfüllung der Zusage Gottes: er darf „sehen“ dass Gott das Heil für sein Volk Israel und für alle Völker in Bewegung gesetzt hat. Die Erleuchtung der Völker, die er preist, ist ihm selbst zuteilgeworden.

Nun lässt du deinen Diener, Herr,
wie du gesagt hast, in Frieden fahren,
denn meine Augen haben dein Heil gesehen,

das du bereitet hast im Angesicht aller V
ölker,
ein Licht zur Erleuchtung der V
ölker
und zur Herrlichkeit deines Volkes Israel.

Diese Worte haben seit vielen Jahrhunderten in der Complet, dem Nachtgebet der Kirche, ihren festen Platz.

            Nun lässt du mich los, Herr, nun lässt du mich gehen – nun darf und kann ich gehen, nun ist alles gut. Denn meine Augen haben dein Heil gesehen. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, dass du, Gott, Heil bereit stellst für dein Volk und alle Völker. Es wird nicht so bleiben, wie es jetzt ist. Du greifst ein, du wandelst die Zukunft. Jetzt kann ich loslassen und gehen.

Das war der Lebensinhalt dieses alten Mannes geworden: warten darauf, dass Gott kommt und eingreift, dass er Heil schafft. Nun hat er gesehen, was mit Augen nicht zu sehen und mit Händen nicht zu greifen ist – und nun mag er abtreten. Er ist glücklich, er ist im Tiefsten erfüllt und befriedet.

Mit der Complet sprechen die Betenden es jeden Tag wieder aus: am Ende dieses Tages gehen wir zur Ruhe, legen alles ab und in deine Hände zurück, denn wir wissen, dass Du Herr bist. Mit den Augen des Geistes haben wir Dein Heil gesehen und glauben es, dass diese Welt letztlich nicht an sich selbst und allem Tun hängt. Am Ende des Tages und unserer Arbeit lässt Du uns gehen, denn diese Welt ist Dein und Du erlöst sie.

 

Ich glaube, dass es etwas tief Heilsames für uns sein kann, jeden einzelnen Tag so anzuschauen: meine Augen haben dein Heil gesehen. Für einen Moment am Abend innezuhalten und wie Simeon nach innen zu schauen: ich habe dein Heil gesehen. Vielleicht liegt es nicht vor Augen, aber es liegt in Gottes Wirklichkeit, von der auch mein Tag ein Teil ist. Damit kann ich gehen – aus diesem Tag heraus in die Nacht und irgendwann einmal in Gottes Ewigkeit hinein.

So ist Simeon ein Bild für dieses beides: das Warten und das wieder Loslassen an Gott.